Während eines Reha-Aufenthaltes entdeckte ich das Buch „Just one thing: So entwickeln Sie das Gehirn eines Buddha“ des Neuropsychologen Rick Hanson. Ich war auf der Suche nach praktikablen Übungen, die ich im Alltag zur Stressprävention einsetzen konnte.
Schon nach den ersten Seiten wusste ich: Rick Hansons Herangehensweise, Ansätze aus den Neurowissenschaften, der Psychologie sowie achtsamkeitsbasierten Lehren miteinander zu verbinden, klingt absolut einleuchtend. Seitdem habe ich viele seiner Bücher gelesen und einige seiner Kurse besucht. Immer noch bin ich fasziniert von seiner Fähigkeit, komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge so ansprechend auf den Punkt zu bringen und in einfach umzusetzende Methoden zu gießen.
Gebrauchsanleitung für den Alltag
„Just one thing“ ist wie eine Gebrauchsanleitung für den Alltag. Einfach, empathisch, und mit dem für Rick Hanson typischen Augenzwinkern geschrieben. Auf den 300 Seiten 52 kurze und kraftvolle Tipps und Übungen.
Überwiegend geht es um mentale Übungen. Darüber hinaus erfahren wir, wie wir auf der körperlichen Ebene unser Gehirn stärken und damit gesünder und entspannter leben können.
Unser Gehirn lernt durch Erfahrungen
Rick Hanson zeigt auf, wie wir durch Gedanken, Worten oder Taten, die positiven Qualitäten in uns verstärken und negative Eigenschaften schwächen können. Das Stichwort dafür heißt „erfahrungsabhängige / positive Neuroplastizität“. Es beschreibt die Fähigkeit unseres Gehirns, sich im Laufe unseres Lebens zu verändern. Anhand von Studien konnte belegt werden, dass Strukturen im Gehirn wachsen, wenn sie häufig aktiviert werden, beispielsweise durch Achtsamkeits- und Meditationspraxis. Stress hingegen kann dazu führen, dass neuronales Gewebe abstirbt.
Realistische Sichtweise statt positives Denken
Eines vorweg: Rick Hanson geht es nicht um positives Denken oder lediglich begrenzende Glaubenssätze durch positive Affirmationen auszutauschen. Letzteres funktioniert meiner Erfahrung nach ohnehin nicht, da diese nicht auf unser Unterbewusstsein wirken können.
Stattdessen geht es bei Rick Hanson darum:
„Wir betrachten die Welt nicht durch eine rosarote Brille, sondern nehmen einfach wahr, was real ist.“
Rick Hanson, Just one thing
Klingt einfach, aber tun wir das nicht sowieso?, könnte man sich jetzt fragen.
Was vielen vielleicht nicht bewusst ist, ist die Tatsache, dass unsere Wahrnehmungsfilter stark durch das Negative gefärbt sind. Evolutionsbedingt wittert unser Gehirn erst einmal Gefahr, bevor es vom Guten ausgeht. Rick Hanson vergleicht es mit einem Fliegenfänger, an dem die negativen Dinge und Erlebnisse anhaften und Teflon, das die positiven Erfahrungen abstößt.
Lässt sich dieser Selbstschutzmechanismus unseres Gehirns wirklich aushebeln? Wie kann es uns gelingen, beispielsweise den verbalen Angriff eines Kollegen, nicht persönlich zu nehmen und auf den Gegenangriff zu verzichten?
Von der roten in die grüne Zone
Rick Hanson teilt unsere Reaktionen in zwei verschiedene Modi ein. Es gibt einmal die grüne Zone, in der wir offen und empfänglich für die Reize von außen sind. Hier verhalten wir uns jedoch nicht reaktiv. Zu oft befinden wir uns jedoch stressbedingt in der roten Zone. Hier reagieren wir gemäß dem Kampf-Flucht-Modus. Hier haben wir das Gefühl, unser Leben verteidigen zu müssen.
Unsere Verhaltens- und Reaktionsmuster lassen sich natürlich nicht von heute auf morgen verändern. Doch mit dem Integrieren der Übungen, die uns täglich nur wenige Sekunden bis Minuten kosten, können wir mehr und mehr Zeit in der grünen Zone verbringen. Das bedeutet: Wir werden ruhiger, gelassener und resilienter. Stattdessen beschäftigen wir uns mit jenen Dingen, die uns wichtig sind und auf die wir selbst Einfluss haben.
Hier sind zwei meiner Lieblingsübungen (die Auswahl fiel wirklich schwer):
- „Sei auf Deiner Seite“: Oft sind wir mit uns selbst kritischer als mit allen anderen. Manchmal vergessen wir auch, auf unsere eigenen Interessen und Bedürfnisse zu achten.
Nimm Dir ein Kinderbild von Dir zur Hand (oder stelle es Dir gedanklich vor) und empfinde Gefühle wie Fürsorge und Stärke, wenn Du es betrachtest. Im nächsten Schritt stell Dir vor, diese Gefühle auf Dich, heute, zu übertragen. Was empfindest Du? Und wie kannst Du im Alltag mehr auf Deiner Seite sein? - „Das Gute in sich aufnehmen“: Schau in Deinem Leben nach guten Tatsachen. Das kann zum Beispiel der heiße, noch dampfende Kaffee am Morgen oder die Erledigung einer lang aufgeschobenen Aufgabe sein. Vielleicht auch das Wissen, dass ich an einem sicheren Ort lebe, positive Eigenschaften in mir oder Erfahrungen, an die ich mich gerne zurückerinnere. Diese gilt es dann 20 bis 30 Sekunden lang in uns einsinken zu lassen, indem wir sie wirklich fühlen. Die Übung lässt sich überall machen: an der roten Ampel, auf der Bergspitze, während der Umarmung eines Kindes oder vor dem Einschlafen.
Zitate aus dem Buch:
„Da unsere Aufmerksamkeit zum großen Teil unserer willentlichen Kontrolle unterliegt – wir können sie bewusst ausrichten -, steht uns ein außergewöhnliches Werkzeug zur Verfügung, um unser Gehirn den ganzen Tag lang in positiver Weise zu formen.“
„Dieser Blick aus der Vogelperspektive, der das ganze Bild sehen kann, deaktiviert auch die neuronalen Netzwerke, in denen die Grübeleien entstehen.“
„Man könnte auch sagen: Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist eine Entscheidung.“
Fazit:
„Just one thing” ist ein empfehlenswerter Einstieg für all jene, die die Erkenntnisse der Neurowissenschaften für mehr innere Ruhe, Zufriedenheit und Resilienz nutzen möchten.
Die Übungen sind nicht nur leicht umzusetzen, sondern machen auch Spaß. Ich praktiziere sie seit circa zwei Jahren regelmäßig. Es gelingt mir dadurch, herausfordernde Situationen als weniger stressvoll wahrzunehmen. Beobachtet habe ich auch, dass mein „Negativity Bias“, also die Einstellung, vom Negativen auszugehen, weitaus seltener aktiv ist als früher. Statt mich auf ein stress auslösendes Detail zu fixieren, sehe ich nun eher das große Ganze und reagiere gelassener.
Das Buch lässt sich in verschiedenen Formen nutzen: Als Geschenk oder entspannende Lektüre mit vielen wertvollen Impulsen. Oder Du nimmst Dir jeden Tag eines der 52 Mini-Kapitel von im Schnitt fünf Seiten vor oder suchst Du Dir punktuell die für Dich passenden Themen aus. All die Übungen lassen sich auf Deine Bedürfnisse und Deine Wünsche anpassen.
Die Übersetzung dieses Buches durch Mike Kauschke ist sehr gelungen und gewissenhaft lektoriert. Schön wäre noch ein Index am Ende des Buches gewesen, um gezielter auf bestimmte Themen zugreifen zu können.
Rick Hanson: Just one thing. So entwickeln Sie das Gehirn eines Buddha. Übersetzt von Mike Kauschke. Arbor Verlag, 312 Seiten, 14,90 Euro.
Just One Thing | Arbor Verlag (arbor-verlag.de)
Dr. Rick Hanson: The Neuroscience of Lasting Happiness